Bei der Draisinenfahrt sind Wind- und Muskelkraft gefragt Neues Leben auf alten Bahntrassen Neben dem Pumpen und Treten bleibt genügend Zeit für einen Blick auf die abwechslungsreiche Landschaft. Auf den Schienen der Marschenbahn unterstützt bei Rückenwind ein Segel die strampelnden Fahrer. Foto: dpa-tmn Ein kurzes Ruckeln geht durch die Draisine, schon ist die Grenze passiert. Unterwegs auf der alten Bahntrasse von Kranenburg ins holländische Groesbeek ging es gerade mit vollem Schwung über die Grenze ins Nachbarland. Die Wiesen sind noch immer grün, die Sträucher blühen, die Sonne scheint durchs Blätterdach. Nur der Blick nach unten verrät es: Statt des grauen Schotters der Deutschen Bahn liegen bei den Niederländern bunte Kieselsteine zwischen den Schienen. Mehr als zwei Dutzend Draisinenbetriebe gibt es in Deutschland. Sie hauchen stillgelegten Bahntrassen neues Leben ein. Auf Strecken in fast allen Bundesländern bieten Betreiber die Fahrzeuge zur Vermietung an: Als Hebeldraisine muss man sie per Armkraft über die Schienen pumpen, Konstruktionen mit Fahrradantrieb laden bis zu vier Personen zum Gleiten durch die Natur ein, auf größeren finden sogar ganze Kegelklubs Platz. Die Grenzland-Draisine im niederrheinischen Kranenburg ist die jüngste, gerade erst eröffnete Strecke. Sie ist auch die einzige grenzüberschreitende Draisinenbahn, wie Projektkoordinator Frank Grusen betont. Früher rauschte hier der Austriaexpress auf dem Weg von Amsterdam nach Klagenfurt vorbei. Jetzt bleibt bei gemütlichen zwölf Stundenkilometern Zeit für einen Blick auf die gepflegte barocke Gartenanlage in Kleve und die grünen Weinstöcke des holländischen Winzers, durch dessen Garten die Strecke führt. Dafür müssen zwei Mitfahrer kräftig in die Pedalen treten. Die übrigen Fahrgäste sitzen auf einer Holzbank und genießen die Aussicht. Die Schienen geben den Weg vor. Ein Navigationssystem ist nicht notwendig, nicht einmal eine Karte, um den Weg ins benachbarte Kleve zu finden. Die Fahrt endet mitten in der Stadt am Spoykanal. Von der Endstation sind es nur ein paar Schritte bis zur Strandbar. An den Anblick der Schienenfahrzeuge hat man sich im brandenburgischen Templin längst gewöhnt. Seit 1996 ist hier Deutschlands älteste Draisinenbahn in Betrieb. Auf der 30 Kilometer langen stillgelegten Bahnlinie von Fürstenberg/Havel nach Templin fährt man durch die idyllischen Seenlandschaften der Uckermark und der Oberhavel. Das Tempo gibt die eigene Kraft vor. Nur manchmal kann es passieren, dass die Fahrt für einige Minuten unterbrochen wird, wenn Rindviecher den "Kuhweg" kreuzen. Ebenfalls in Brandenburg können Besucher auf Deutschlands längster Draisinenstrecke fahren. 40,5 Kilometer beträgt die Entfernung zwischen Zossen und Jüterbog, einen halben Kilometer mehr als der vorherige bundesdeutsche Draisinenstrecken-Champion im pfälzischen Naheland vorweisen kann. In der Landschaft des Flämings geht es seit 2003 durch Wälder und kleine Ortschaften, über Wiesen und an Seen entlang durch das Baruther Urstromtal. Wer will, kann bei den Brandenburgern die "Drei-Muskel-Tour" buchen. Sie beansprucht nicht nur die Arme, sondern auch die Bein- und Lachmuskulatur. Zunächst muss auf einer Hebeldraisine fünf Kilometer gepumpt werden. Dann folgt eine Tour auf dem Konferenzfahrrad, alle sitzen im Kreis und treten, aber nur einer lenkt. Am Strandbad in Mellensee geht es schließlich auf die Hydrobikes. Diese Wasserfahrräder sind stabil, kentern nicht und bieten sich ebenso an für den Absprung in die willkommene Abkühlung. Neben dem Pumpen und Treten bleibt genügend Zeit für einen Blick auf die abwechslungsreiche Landschaft. Ungewöhnliche Offerten kommen auch von anderen Anbietern. Die Marschenbahn-Draisine in Dithmarschen etwa nutzt auf der acht Kilometer langen Strecke zwischen Marne und St. Michaelisdonn die Windkraft. Bei Rückenwind bis Stärke vier unterstützt ein zweieinhalb Quadratmeter großes Rahsegel die strampelnden Fahrer. Fahrraddraisinen mit einer Sieben-Gang-Schaltung sind dagegen zwischen Rinteln-Süd und Alverdissen im Weserbergland unterwegs. Sie wurden extra für die 18 Kilometer lange Strecke konstruiert - so lassen sich die Steigungen leichter erklimmen. Die Eichsfelder-Kanonenbahn im thüringischen Lengenfeld unterm Stein überzeugt vor allem durch die landschaftliche Schönheit ihrer Strecke. Die Fahrt beginnt am Bahnhof der Stadt. Nach 300 Metern führen die Schienen über das 244 Meter lange und 24 Meter hohe Lengenfelder Viadukt, das eine hervorragende Aussicht bietet. Der Blick schweift in das lange Tal der Frieda und über die umliegenden Dörfer. Am Wendepunkt Siebengärtengraben heißt es verschnaufen, immerhin 107 Höhenmeter wurden mit reiner Muskelkraft überwunden. Der Ausflug mit der Kranenburger Grenzland-Draisine ist dagegen nicht so anstrengend. Fast ohne Steigung ziehen sich die Bahnschienen durch die niederrheinische Landschaft. Nur das Rattern der Räder auf den Schienen unterbricht die Stille der Natur. Damit das richtige Eisenbahnfeeling aufkommt, laufen einige der Fahrraddraisinen auf Metallrädern. tmn erschienen am 17. Mai 2008 nach oben Copyright © 2002-2008 Hamburger AbendblattMagazin des Hamburger AbendblattNeues Leben auf alten BahntrassenWeitere Online-Angebote des Verlags Axel Springer Vollständige Url des Artikels: http://www.abendblatt.de/daten/2008/05/17/882299.html (c) Hamburger Abendblatt |
Stand: 22.03.14